Donnerstag, 15. September 2011

"Offensichtlich nicht wesensfremd"

Es gibt ihn also doch: den Gewohnheitsverbrecher, dem es in seinem Wesen angelegt ist, Straftaten zu begehen. Meint offenbar das Landgericht Frankfurt, wenn es in seinem Berufungsurteil feststellt:
"Bestätigt wird die Täterschaft des Angeklagten letztlich auch durch die in der Hauptverhandlung verlesenen Vorverurteilungen des Angeklagten [...]. In beiden Fällen zeigt sich, dass der Angeklagte, der sich offenbar permanent in finanziellen Engpässen befindliche Angeklagte nicht davor zurückschreckt, diesen Zustand durch Begehung von Betrugsdelikten aufzubessern und ihm ein solches Vorgehen daher offensichtlich nicht wesensfremd ist."
Betrügerisches Verhalten als Teil des Wesens eines Angeklagten - eigentlich sollte man solche Thesen im Orkus der Geschichte vermuten, weil es meines Wissens bis heute keinerlei Untersuchungen gibt, die das belegen. Aber es macht die Begründung so schön einfach, also hält sich so ein Vorurteil hartnäckig wie Rotweinflecken.

Ich nenne solche Entscheidungen übrigens "Bildzeitungsurteile". Denn garniert mit solchen "Volksweisheiten" erinnert es mich an die Serie des berühmt-berüchtigten Blattes mit "Volks-Computer", "Volks-Auto", etc..

Bei der Revisionsbegründung habe ich mich gefragt, ob dann nicht bei der Strafzumessung darüber nachgedacht werden müsste, dass der Täter, wenn die Straftat in seinem Wesen liegt, letztlich doch nichts dafür kann? Warum erörtert das Gericht konsequenter Weise nicht, ob eine Strafmilderung nach § 21 StGB angebracht wäre? Im Gegenteil: Die Vorstrafen werden natürlich auch noch strafschärfend berücksichtigt - hier aber ohne die Erkenntnis, dass es doch im Wesen des Verurteilten liegen soll.

Also habe ich wieder einmal eine Revision geschrieben, die wenn überhaupt sicher nicht aus diesem Grund erfolgreich sein wird. Aber das ist glücklicherweise nicht das einzige, das ich zu bemängeln habe.

Jetzt überlege ich, wie ich mich bei der nächsten Verhandlung vor dieser Kammer verhalte. Ironie des Schicksals: Ich darf den gleichen Mandanten verteidigen. Vor einer Kammer, die ihm bereits bescheinigt hat, dass ihm Betrugsdelikte nicht wesensfremd seien. Da werde ich zur Vorbereitung der Verhandlung wohl nochmal intensiv die Befangenheitsfrage durchdenken müssen...

Dienstag, 6. September 2011

BGH hebt das Urteil gegen Karlheinz Schreiber auf

Es will kein Ende finden: Das juristische Tauziehen um den früheren Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber geht in die nächste Runde.

Heute hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Augsburg auf. Dieses hatte Schreiber zu 8 Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Gegen dieses Urteil hatten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt.

Die Bundesrichter bemängelten, das Landgericht habe nicht hinreichend geprüft, ob Schreiber seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich noch in Deutschland gehabt habe, was Voraussetzung für eine Steuerpflicht und damit auch für die Annahme einer Steuerhinterziehung sei. Zugleich hält es der BGH für möglich, dass auch eine Strafbarkeit wegen der Bestechung des seinerzeitigen Staatssekretärs Holger Fahls in Betracht komme und diese nicht, wie das Landgericht angenommen hatte, verjährt sei.

Ring frei zur nächsten Runde.

Montag, 5. September 2011

"Rechtsstaat heißt: Der Staat hat immer recht!"

Heute hatte der Kollege in unserem Büro erstmals mit dem Richter zu tun, über den ich hier schon ob seiner nahezu hellseherischen Fähigkeiten bei der Wahrheitsfindung berichtet habe. Und er erlebte ähnliches:

Die Verhandlung drehte sich um die Frage, ob der Angeklagte derjenige ist, der Polizeibeamte verbal und unter Einsatz seines Mittelfingers beleidigt haben soll. In der Ermittlungsakte findet sich ein Video, das den Vorfall anschaulich dokumentiert mit bemerkenswert scharfen Bildern. Weiter findet sich dort eine Kopie des Führerscheins des Angeklagten. Die Bilder gab mir der Kollege im Vorfeld schon zur Ansicht, nachdem ich ihn seinerzeit auf meine Erfahrungen mit Herrn Richter am AG B. aufmerksam gemacht hatte. Auf den ersten Blick fand sich allenfalls eine sehr weit entfernte Ähnlichkeit. Bei genauerer Betrachtung fanden sich eine Vielzahl von nicht zusammenpassenden Merkmalen: Wo der Angeklagte deutliche Geheimratsecken sein Eigen nennt, zeigt das Bild einen Menschen mit vergleichsweise tiefer Stirn und gradem Haaransatz. Die Gesichtsform will auch nicht recht passen, etc.

Selbst die anzeigenerstattenden Polizisten mussten in der Hauptverhandlung einräumen, der Täter habe damals doch irgendwie anders ausgesehen. Und nach einem erste Blick auf die Videoprintouts stellte auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft fest: "Das ist doch nicht der Angeklagte!" Sie beantragte später dann auch konsequenter Weise Freispruch. Angeregt durch meine Warnungen stellte der Kollege vorsorglich auch noch einen Beweisantrag auf Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachten.

Doch so leicht lässt sich Herr Richter am AG B. nicht unterkriegen. Anthropologisches Sachverständigengutachten? Wozu? Das kann er selbst beurteilen und zwar besser als alle anderen. Folglich, der geneigte Leser ahnt es bereits, verurteilte er den Angeklagten kurzerhand wegen Beleidigung. Nicht ohne den Hinweis, dass man sich bei ihm auch schnell mal verpokern könne, wenn man schweigt.

Der Kollege hat selbst heute Abend noch eine ziemlich schlechte Laune. Da halfen alle Beschwichtigungsversuche und Hinweise auf die vernünftige Berufungskammer, die für Herrn B.'s Urteile zuständig ist, nicht.

Sein Tagesmotto: siehe Überschrift.