Mittwoch, 15. September 2010

Pädophilenprozess

Der große Kinderpornoring-Prozess vor dem LG Darmstadt ist erst einmal geplatzt. Weil eine Schöffin in einer Besprechung geäußert hatte: „Wo sind wir denn? In einem Pädophilenprozess. Die haben Straftaten begangen.“ Vorausgegangen war der Hinweis eines Verteidigers, dass sein Mandant in der JVA Repressalien ausgesetzt war, nachdem unsere beliebteste Boulevardzeitung Bilder von den Angeklagten veröffentlicht hatte, ohne diese unkenntlich zu machen. Der Kollege lehnte die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit ab, das Gericht erachtete das Gesuch für begründet.

So weit, so gut, so richtig.

Schon aber beginnt eine Diskussion über Nutzen und Sinn der Schöffen. Es melden sich sogar Richter zu Wort und weisen darauf hin, es seien in aller Regel die Schöffen für die in der Öffentlichkeit als zu milde empfundenen Strafen verantwortlich (http://forum.spiegel.de/showthread.php?postid=6243135). Oder es wird die These aufgestellt, letztlich entscheide der Vorsitzende Richter der Strafkammer sowieso nicht, weil er ja von Schöffen überstimmt werden könne (http://forum.spiegel.de/showpost.php?p=6243297&postcount=49).

So unterschiedlich werden Dinge eingeschätzt: Alle mir bekannten Kollegen gehen davon aus, dass gute Kammervorsitzende ihre Schöffen im Griff haben. Woraus sich erklärt, dass es Strafkammern gibt, bei denen man von vornherein ziemlich exakte Prognosen über den Verfahrensausgang machen kann, weil man deren „Tarife“ kennt. Und das, obwohl die Schöffen ständig wechseln. Nur die Berufsrichter bleiben.

Abgesehen davon: Offenbar stört sich niemand an der Tatsache, dass die Zeitung mit den vier Buchstaben wieder einmal die Persönlichkeitsrechte von nach wie vor unschuldig geltenden Angeklagten mit Füßen tritt. Wo sind wir denn? Ach ja, richtig: In einem Pädophilenprozess…

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